In letzter Zeit häufen sich in der Kawummkeule-Redaktion neben Fanpost, Sympathiebekundungen, Gutscheinaktionen von Amazon, Einladungen zu Hoteleröffnungen in Tripolis und noch mehr Fanpost, zunehmend Anfragen von offenbar desorientierten, verwirrten und arg konfusen Leser_innen, die sich einfach nicht erklären könne, wo das ganze Geld eigentlich bleibt, also, wie das funktioniert, „dass die Staaten zwar alle mit mehren Billionen Euro verschuldet sind, sich aber untereinander trotzdem Geld leihen und so. Das ist doch irgendwie komisch, oder?!“
Kawummkeulereportator Gerd S., der nach einem Urlaubssemester wieder an Bord und völlig wiederhergestellt ist, ging dieser Frage auf den Grund und traf auf erstaunliche Fakten – und noch erstaunlichere Menschen.
Tjaaa, wo bleibt die ganze Kohle, werte Leser_innen? Die Frage ist ein wenig schwierig zu beantworten, aber irgendwo muss man ja anfangen. Ich begebe mich also zunächst dorthin, wo man meiner naiven Vorstellung nach am meisten von diesem Thema versteht – in die Sparkasse bei mir um die Ecke. Nachdem ich einem 16-jährigen Azubi mit schlecht sitzendem Anzug klar gemacht habe, dass es nicht um mein Girokonto geht, auf das ich neuerdings0.3 Prozent Zinsen p.a. Bekomme und einen Dispositionskredit von total verständlichen 18,75 Prozent bezahle - „wir Banker waren ja auch von der Krise betroffen, das müssen sie verstehen“ oder wie es mein Pizzahändler ausdrückt: „ Warum Fumfzig Cent teurer? Weil alles teurer!“ - sondern um das „große Ganze“, also sozusagen das System, werde ich von seiner resoluten Vorgesetzten vor die Drehtür komplimentiert. Mir wird klar, dass die lokalen Sparkassen-Angestellten zwar mit in diesem Schlamassel stecken und es möglicherweise erst ermöglichen, es aber genauso wenig verstehen, wie ich. Ein hastig geschmiertes Grafitto an der Backsteinwand der Bank fasst mein innerstes Seelenleben recht treffend zusammen: „Fight the police, fuck the system“. Klar, aber wie, wenn man das System gar nicht versteht, wo soll man da ansetzen und wo „reinficken“, um beim Wortlaut zu bleiben?
Also weiter recherchieren.Laut Wikipedia versteht man unter Inflation gemeinhin eine Geldentwertung. Ich versuche das mir das mit einer Kindheitserinnerung zu erklären: zehn Pfennig in den Kaugummiautomaten zu stecken, anstatt links- einfach rechts herum zu drehen und den kompletten Inhalt des Automaten in die Hosentasche zu stecken erscheint auf den ersten Blick sehr vernünftig. Wenn man aber über den Horizont eines Zehnjährigen hinausschaut, so wird man zwangsläufig bei dem armen, alten Kaugummifabrikanten mit den noch ärmeren und älteren Kaugummidreherinnen (es sind meistens Frauen) landen, die im Schweiße ihres Angesichts Kaugummis rollen – Kaugummirohmasse vom Band nehmen, zwischen den angefeuchteten Händen zu einer Kugel formen, blau, rot, gelb, grün lackieren, wieder aus Fließband legen – um ihre 10-köpfige Familie zu ernähren. Wenn ich also mit 10 Jahren, unwissend und einfältig wie ich war, Süßigkeiten klaute, so sorgte ich damit indirekt für all das Schlechte auf der Welt, für riesige Inflationsraten, für Nahrungsmittelknappheit, Finanzkrise, Hunger, Tod, Hungertod, Ölpreisexplosion, Internetblase, Warentermingeschäfte, Hedgefonds...!
Mit diesem Hintergrundinfos stellt sich der Lausbubenstreich plötzlich als schwerwiegender Eingriff in das hochsensible und instabile Geflecht dar, dass sich Volkswirtschaft nennt und uns allen den Zugang zu Nahrung, Bildung, Liebe und Glück ermöglicht. –
Wo also das ganze Geld bleibt, wollen sie wissen? Die Antwort ist so einfach wie ungemütlich. Es existiert nicht, es bleibt unrealisiertes Geld, es bleibt ein Kalkulationsfaktor, der sich nicht bewahrheitet und deshalb zu Schulden wird und Schuld daran sind nicht etwa die ach so bösen Banken oder Superreichen oder Politiker, sondern Sie, Sie ganz alleine und Jeder, der nicht dazu bereit ist, sein Leben in den Dienst des Geldes, der Verantwortung, der Vernunft zu stellen und statt den üblichen hundert, 150% seiner Zeit zu investieren und dieses Land und sein Bruttoinlandsprodukt über Wasser zu halten.